Literarisch-musikalische Seelenlandschaften


Jadranka Marijan-Berendt war mit ungewöhnlicher Lesung in Kindlers Buchhandlung zu Gast

Von Pia Geimer
Mosbach.

Quelle: Rhein-Neckar Zeitung, Mosbach, 24.03. 2018.

Der bekannte Jazzproduzent und Musikjournalist Joachim-Ernst Berendt (1922-2000) war ein Pionier in vielerlei Hinsicht. Kurz nach Kriegsende gehörte er zu den Mitbegründern des SWR und war der erster Jazzredakteur des Senders maßgeblich daran beteiligt, den Jazz in Deutschland aus dem von den Nazis erzwungenen Untergrund ans Licht der Öffentlichkeit zu holen. Bereits in den 50er Jahren interessierte er sich daneben auch immer mehr für Weltmusik und die philosophischen und spirituellen Aspekte des Hörens. Mit seinen Epoche machenden Büchern - darunter „Das Jazzbuch“ und „Nada Brahma, die Welt ist Klang“ - veränderte und erweiterte er die Wahrnehmung von Musik entscheidend und wurde auch in Hörerkreisen bekannt, die nicht in der Jazz-Szene zu Hause waren.
In seinem letzten Buch „Kraft aus der Stille“ widmete er sich der spirituellen Poesie Rainer Maria Rilkes, dessen Gedichte ihn seit seiner Jugend begeleitet hatten. Mit einer Lesung aus diesem Buch war am Mittwochabend Jadranka Marijan-Berendt in Kindlers Buchhandlung zu Gast, die als seine Ehefrau und Seelenverwandte einen ganz persönlichen Blick auf das Werk ihres Mannes ermöglicht. Sie hat es zu ihrem Anliegen gemacht, ihre eigene Faszination an der Verschmelzung von Musik und Meditation an ihre Zuhörer weiter zu geben. Nach ihrem Musikstudium beschäftigte sie sich zunächst 10 Jahre lang mit Theaterarbeit, bevor sie sich zur Atem- und Yogalehrerin ausbilden ließ. Ihre Performance als Rezitatorin umfasst daher nicht nur das Lesen allein, sondern sie mischt die Rezitation mit persönlichen Erinnerungen, nutzt auch zuweilen meditative Elemente aus dem asiatischen Kulturkreis wie Klangschale und Gong. Sie wechselt dabei zwischen eigener Rezitation und Einspielungen von der CD „Seelenlandschaften“, auf der ihr Mann Gedichte von Rilke selbst gesprochen und mit ausgewählter Musik kombiniert hatte. Dadurch wirkte der etwa zwei Stunden dauernde Abend gut strukturiert und war trotz der nicht ganz leichten Lektüre auch für Zuhörer verständlich, die bisher keine Rilke-Kenner waren oder die Bücher von Joachim-Ernst Berendt gelesen hatten.

Jadranka Marijan-Berendt gelingt das Kunststück, die tiefgründige, hoch verdichtete Sprachkunst Rilkes umsichtig zu „entpacken“, ohne sie zu verändern. Schnell entsteht - wie bei allen guten Schauspielern - ein intensiver Kontakt zum Publikum, ihre Lesung wird zu einer lebendigen Kommunikation. Unfassbar, dass sie als 20jährige Studentin aus Bosnien-Herzegowina, die Schauspielerin werden wollte, die deutsche Sprache vor allem dadurch sehr schnell lernte, indem sie sich auf Rilke stürzte, bei dem es sich ja nicht gerade um Anfängerliteratur handelt. Auch heute noch hört man an einem charmanten kleinen Akzent, dass Deutsch nicht ihre Muttersprache ist, aber die unglaublich reiche Seelen- und Gedankenwelt, die sich in Rilkes über 7000 teils hochphilosophischen Briefen und in seinen Gedichten zeigt, fiel bei Jadranka Berendt und ihrem Mann Joachim auf extrem fruchtbaren Boden. Sie beide haben einen spirituellen Hang zur inneren Stille, zum vollendeten Eins-Sein entwickelt. Das Ohr als „Tempel“, als Portal zu Rilkes geistiger „Vollzähligkeit“ wurde für sie gewissermaßen zum Lebensthema, dem sie sich mit ganzer Hingabe gewidmet haben.
In Rilkes Spätwerk, z.B. in den „Duineser Elegien“ oder den „Sonetten an Orpheus“, die bei dieser Rezitation die „Seelenlandschaften“ des Dichters illustrieren, zeigt sich oft eine überraschend heitere Lebensbejahung, die das ganze Dasein umfasst und auch den Tod als Freund, als „einzigen Ja-Sager des Lebens“, mit einschließt.  Und ein wenig von dieser Einstellung konnte man, nachdem dieser Rezitationsabend mit Jadranka Marijan-Berendt zu Ende gegangen war, mit nach Hause nehmen. Macht Lust zum Weiterlesen!